Was ist intuitives Zeichnen?

Wenn es dir schwer fällt, Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen, kann die Methode des intuitiven Zeichnens helfen, dich über Bilder auszudrücken und dich dadurch besser zu verstehen.

Als ich jünger war fiel es mir sehr schwer, meine Gedanken und Gefühle auszudrücken und mich anderen mitzuteilen. Sie blieben oft in mir verschlossen, weil ich einfach keine Worte dafür hatte.

Als visuell denkender Mensch hatte ich allerdings lebhafte Bilder in meinem Kopf. Und die wollten raus! Doch ich war nie zufrieden, wenn ich etwas zeichnete. Ich konnte ja nicht mal einen anatomisch richtigen Körper malen. Meine Zeichnungen sahen kindlich aus und hatten überhaupt keinen Ausdruck. Sie waren mir peinlich und ich bedauerte, dass mir die richtige Ausbildung fehlte.

Der magische Stift

Die Wende kam, als ich mir einen schwarzen dünnen Feinliner mit einer Strichstärke von 0,3pt kaufte, den ich heute als magischen Stift bezeichne. Ich war Feuer und Flamme! Denn mit diesem Stift hatte ich plötzlich viel Spielraum für Details, was mir ein Bleistift oder Acrylfarbe nicht bot. Damit zu zeichnen machte mir unheimlich viel Spaß, weshalb mein Fineliner und ein A5 Block zu stetigen Begleitern wurden.

Beim Zeichnen von Menschen habe ich am Anfang noch versucht, anatomisch korrekt zu zeichnen. In den ersten Bildern sieht man deshalb noch deutlich viele Korrekturstriche.

Bald ist mir aber aufgefallen, dass es mir gut tat, nicht wegradieren zu können. Der Fineliner hat mich gezwungen, die „Fehler“ hinzunehmen, die ich beim Zeichnen produzierte.

Dadurch sind skizzenhafte Zeichnungen entstanden, die anatomisch nicht perfekt waren. Doch ich habe es geschafft, ein Gefühl in einem Bild auszudrücken. Dieses Bild zu betrachten, gab mir ein Gefühl von Zufriedenheit. Manchmal war es jedoch auch frustrierend, dass ich das Bild in meinem Kopf nicht so eindrücklich darstellen konnte, wie es in meiner Vorstellung aussah.

Gefühle in Zeichnungen transformieren

Mit der Zeit wurde mir die richtige Anatomie des Endergebnisses immer unwichtiger. Viel entscheidender war, dass ich eine Emotion, eine Situation oder einen inneren Satz in ein Bild transformieren konnte. Und noch viel mehr: ich erkannte, dass ich dabei war, meinen eigenen Stil zu entwickeln, mit dem ich Emotionen aussagekräftig darstellen konnte.

Welche Rolle spielt es in diesen Bildern, dass die Anatomie der Hände nicht der Realität entspricht?

Welche Rolle spielt es in diesen Bildern, dass die Anatomie der Hände nicht der Realität entspricht? Für mich jedenfalls keine. Ich denke, dass die Bilder so an Lebendigkeit und Charakter gewinnen.

Mit Hilfe dieser Zeichnungen habe ich es geschafft, meine diffusen Gefühle in Worte zu fassen. Diese Worte schreibe ich dann meistens daneben und verleihe der Figur bzw. mir selbst eine Stimme.

Ich habe diese Methode auch dazu genutzt, um mich von erdrückenden Gefühlen zu befreien, nachträglich mit Situationen fertig zu werden oder mich Menschen entgegen zu stellen. Diese Art des Zeichnens hat mir geholfen, Lösungen zu entwickeln und endlich mal meine Meinung zu sagen, die ich mich in der konkreten Situation nicht getraut habe, zu sagen.

Manchmal ist es auch nicht möglich, den inneren Schmerz oder die Verwirrung aufzulösen. Dann ist noch nicht der richtige Zeitpunkt für die Antwort. Genau das kann man aber auch zeichnen.

Es hat auch geholfen, Situationen loszulassen, die ich immer wieder vor meinem geistigen Auge durchgespielt habe. Denn dadurch wurden sie „raus gezeichnet“. So waren sie aus meinem Kopf und wenn ich wollte, konnte ich sie zwischendurch noch mal rauskramen oder endgültig ad acta legen.

Egal wie nutzlos oder wertlos ich mich in manchen Momenten fühlte – aus meiner Emotion etwas zu kreieren, hat etwas von Bedeutung erschaffen, auf das ich stolz war und durch das ich mich wieder besser fühlte.

Auf diese Weise habe ich in den letzten Jahren reihenweise Skizzenbücher mit Einzelzeichnungen gefüllt. Hin und wieder sind auch kleine Bildergeschichten entstanden, die ich zu Zines verarbeitet habe. Zum Beispiel erzähle ich in „Drugs against Pain 1“ und „Drugs against Pain 2“ von Suchtverhalten, das durch Gefühle der inneren Leere entsteht.

Bei diesen Zeichnungen ging es aber nie darum, sie mit anderen zu teilen. Zuallererst halfen sie mir, eine Sprache zu finden. Trotzdem habe ich sie lange negativ bewertet: „Das sind ja nur irgendwelche deprimierenden Skizzen, Rumgekritzel mit Fineliner“, habe ich oft zu mir gesagt. Als ich aber einige Bilder meinen Freund*innen gezeigt habe, habe ich gesehen, dass sie Emotionen bei ihnen auslösen. Das fand ich schön. Ich hatte den Eindruck, dass diese Zeichnungen Menschen berühren können und deshalb auch den Weg an die Öffentlichkeit finden dürfen.

Lange habe ich nach einer Kategorie gesucht, was ich da tue. Comics ohne Panels? Poetische Illustration? Art Brut? Ich denke „intuitiv zeichnen“ trifft es am Besten. Und ich würde sagen, dass das eine gute Methode ist, sich mitzuteilen, wenn es einem schwer fällt, die richtigen Worte zu finden. Mehr noch, durch das Zeichnen kommt man an Gefühle und Erinnerungen, die unterbewusst in einem schlummern oder an die man sich bewusst gar nicht erinnern kann, weil man noch zu klein war.

Mir ist klar, dass vielen Menschen das Zeichnen schwer fällt. Wir denken, dass wir gar nicht zeichnen können und vergleichen uns mit anderen. Aber man kann sich sogar mit Dreiecken und Kreisen ausdrücken. Niemand braucht diese persönlichen Zeichnungen sehen. Es ist wie Tagebuch schreiben. Und wenn wir unsere Bilder nicht negativ bewerten, können wir durch das intuitive Zeichnen tief in unser Inneres vordringen und uns besser verstehen.

Intuitives Zeichnen lernen

Weil mir intuitives Zeichnen so sehr in meinem Leben geholfen hat, möchte ich meine Erfahrungen weitergeben. Dafür habe ich einen Workshop kreiert, in dem ich die Methode des intuitiven Zeichnens vermittle. Wenn es dir auch schwer fällt, dich mit Worten auszudrücken und du einmal probieren möchtest, deine Gefühle durch Zeichnungen zu offenbaren, kannst du den Workshop bald bei mir buchen. Für Workshops vor Ort kannst du mich natürlich auch direkt anschreiben.

Schreib mir auch sehr gerne deine Fragen oder teile deine Gedanken per E-Mail. 🙂